Dr. Christian Wollmann ist seit 2019 Direktor des Zentrums für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit. Er studierte Theologie in Marburg, Heidelberg, Amsterdam und Hamburg. Vor seiner Zeit als Gemeindepastor war er für das damalige Nordelbische Missionszentrum drei Jahre lang Dozent für Christentum an einer Universität in der V.R.China. Mit seiner Familie freut er sich darauf, hoffentlich bald wieder auf Reisen gehen zu können.
„In hoc signo vinces.“ In diesem Zeichen wirst du siegen. Die Legende besagt, dass Konstantin im Jahre 312 n. Chr. vor dem entscheidenden Kampf gegen den Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke das Kreuzeszeichen sah und dass Jesus Christus im erschienen sei, um es zu deuten. Konstantin solle es als Zeichen des Sieges und Schutzes vor sich hertragen. Im Zeichen des Kreuzes wirst du siegen.
Vor ein paar Wochen musste ich an diese Legende denken, die bildhaft einen Wendepunkt der Kirchengeschichte beschreibt.
Es gibt diese hellen Bilder und Zeichen aus Neonröhren in den Fahrerkabinen der LKW. An einem Tag habe ich zweimal gesehen, wie dort ein großes neonblaues Kreuz prangte. Es schien in der Dunkelheit der Autobahn im Cockpit des LKW zu schweben. Bei einem der beiden LKW stand, wie ein Kommentar zum Kreuz, in altdeutscher Schrift auf dem Heck geschrieben: „Europa den Christen“. In hoc signo vinces!
Es gibt ein Verständnis des christlichen Glaubens, mit dem ich nicht leben und eine Vereinnahmung von Symbolen, die ich nicht akzeptieren mag.
Zuletzt ging ein Bild durch die Medien. Auf einer Querdenker-Demo in Berlin am 18.11. hielt eine junge Frau der Polizei ein großes Kreuz mit Kruzifix entgegen. Man denkt an Vampir-Geschichten – oder eben an Konstantin. Zurecht wurde von Kirchen offiziell Widerspruch erhoben.
Das Kreuz ist hier ein Zeichen der Aggression – nicht gegenüber dem, der daran gefoltert wird, sondern gegenüber all denen, die vermeintlich nicht auf derselben Seite dieses Kreuzes stehen, ob Maxentius, Muslime oder oder…
In solchen Momenten denke ich: Es gibt ein Christentum und ein Verständnis des christlichen Glaubens, mit dem ich nicht leben und eine Vereinnahmung von Symbolen zur Legitimierung eigener Interessen gegenüber anderen, die ich nicht akzeptieren mag.
Im Advent richten wir uns aus auf den Gott, vor dem Begegnung über Grenzen hinweg möglich wird.
Diesen inneren Widerstand spüre ich auch im Blick in die weltweite Ökumene. Um der Ausdehnung des eigenen Einflussbereiches und eigener Macht willen sind Kirchen in den USA, Brasilien, Russland oder anderswo bereit, mit Politikern zu paktieren, die ihre Energie aus Polarisierung und Spaltung ziehen. „In hoc signo vinces“, raunen sie ihnen zu.
Das ist nicht mein Christentum!, will ich dem entgegenschreien, das ist weder Ausdruck noch Folge meines Glaubens.
Denn auf welchen Gott richten wir unsere Herzen und Gedanken jedes Jahr im Advent wieder neu aus? In meinen Augen auf den Gott, der die Liebe ist. Auf den Gott, der sich selbst klein macht und sich nicht zu schade ist für Heu und Stroh, um wirklich allen Menschen nahe zu kommen. Auf den Gott, vor dem die Waffen der Abgrenzung niedergelegt werden und Begegnung über Grenzen hinweg möglich wird, gerade weil er sich entmachtet und so hilflos und schwach wird.
Gewinnen sollen nicht wir über andere, sondern gewinnen soll am Ende die Liebe Gottes.
Im Christian Jensen Kolleg geschieht theologische Bildung in ökumenischer – ja interreligiöser – Weite. Das ist gut so und muss unbedingt erhalten und gestärkt werden. Darum bin ich glücklich, dass wir an diesem Ort nun fünf Jahre lang mit einer Stelle für ökumenische Jugendspiritualität experimentieren dürfen. Denn so kann sich der eigene Glaube vieler junger Menschen mit der Weite und aus der Weite entwickeln.
Es ist wichtig und richtig, dass wir uns einmischen in Deutungen unseres Glaubens in unseren Gesellschaftsdebatten und in der weltweiten Kirche. Ich möchte mich darum auch selbst mehr in die Auseinandersetzung mit anderen Deutungen und Theologien unseres Glaubens wagen. Aktiv und offensiv möchte ich das tun, aber nicht in der Aggressivität und Abgrenzung dieser Legende aus den ersten Jahrhunderten unserer Kirchengeschichte, sondern in der Haltung und inspiriert vom Kind in der Krippe am Ursprungsort unsere Glaubens. Denn gewinnen sollen nicht wir über andere, sondern gewinnen soll am Ende die Liebe Gottes in und durch uns. Ist das utopisch?