Tobias von der Heide ist seit 2017 Landtagsabgeordneter im schleswig-holsteinischen Landtag. Er ist bildungs- und kirchenpolitischer Sprecher der CDU Landtagsfraktion. Tobias von der Heide wurde 1984 geboren und in Kiel aufgewachsen. Er hat sein Studium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit Auslandssemestern in Finnland und Südafrika als Diplom-Kaufmann abgeschlossen. Im Anschluss hat er mehrere Jahre für die Lufthansa Technik in Hamburg gearbeitet, zuletzt als Einkaufsleiter der Triebwerkssparte. Er ist verheiratet und wohnt heute wieder in Kiel.
Utopien in der Demokratie? Wir alle kennen die Geschichten von den langsamen Mühlen der Demokratie. Es gibt Gesetzesverfahren, die kein Ende finden. Infrastrukturprojekte, die jedes Jahr um ein Jahr verschoben werden. Investitionen, deren Dringlichkeit von allen gesehen wird, aber für die bei den konkreten Haushaltsverhandlungen doch nicht genug „Spielraum“ da war. Eine Steuerreform, die mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten in fast allen Parteiprogrammen steht, aber nie angepackt wird, weil alles so kompliziert ist. Jedem werden Beispiele einfallen, um diese Liste fortzusetzen.
Es ist uns gelungen, die Pandemie zügig unter Kontrolle zu bringen: Keine überfüllten Krankenhäuser, keine überforderte Pflegekräfte, keine Leichenwagen in den Straßen.
Aber auf einmal gehen Dinge: Die Corona-Pandemie ist zusammen mit der Wiedervereinigung die größte Herausforderung in der Geschichte unserer Bundesrepublik. In der jüngeren Geschichte hat kein Ereignis unsere Art zu leben so radikal verändert und unser Wohlstand so angegriffen. Aber die Politik hat Handlungsfähigkeit und Entscheidungswillen bewiesen. Ich muss ehrlich sagen: Mir wurde in den vergangenen Monaten schwindelig, wenn ich darüber nachgedacht habe, wie viele tiefgreifende Entscheidungen in kürzester Zeit getroffen wurden, welche Summen für Hilfsleistungen ausgegeben wurden. Und natürlich war nicht jede Entscheidung richtig. Manche Entscheidungen mussten sogar korrigiert werden. Das Ergebnis gibt uns aber Recht. Es ist uns gelungen, die Pandemie zügig unter Kontrolle zu bringen. Keine überfüllten Krankenhäuser, keine überforderte Pflegekräfte, keine Leichenwagen in den Straßen. Klar, wir sind noch nicht über den Berg, aber den ersten Teil des Aufstiegs haben wir deutlich besser gemacht als andere auf der Welt.
Und das war ganz wichtig! Denn unser Modell der freien, der demokratischen Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren massiv unter Druck geraten. Die Formel, dass es den Menschen dort besser geht, wo man in Freiheit lebt, hat keine Ewigkeitsgarantie. Manche hatten nach dem Ende des Kalten Krieges den Eindruck, die Weltgeschichte hätte ihren Endpunkt erreicht. Das Ende der Geschichte sollte gekommen sein: Die freiheitliche Welt mit einem System aus Liberalismus, Marktwirtschaft und Demokratie werde sich über kurz oder lang auf der ganzen Welt durchsetzen. Der Kampf der Systeme sei beendet. Dann griffen Terroristen das World Trade Center und das Pentagon an. Eine Attacke im Herz des Westens. Spätestens an diesem Tag – dem 11. September 2001 – wurde deutlich, dass diese Vorstellung einer neuen Welt eine Illusion war. Schlagartig wurde klar, dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist und sich immer wieder beweisen muss. Und diese Lage ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden.
Die Bedrohung unserer Demokratie hat nicht nur von außen, sondern auch von innen zugenommen.
Aber wieso ist das so? Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass sich das Wissen der Welt vor zehn Jahren alle sieben Jahre verdoppelt hat. Heute soll sich das Wissen alle zwei Jahre verdoppeln. Der Fortschritt, oder besser gesagt, die Veränderungen in der Welt nehmen rasant an Geschwindigkeit zu. Die Welt wird komplizierter, Grenzen verschwimmen und Sicherheiten von gestern sind am nächsten Tag nicht mehr verlässlich. Ein großer Treiber dieser Entwicklungen ist die Digitalisierung. Das neue rasante Tempo der sich verändernden Welt ist für eine Demokratie eine große Herausforderung. In der Demokratie diskutieren wir und führen strittige Kontroversen. Das am besten nicht nur in der Regierung oder im Parlament, sondern in der gesamten Gesellschaft. Das dauert. Das dauert lange.
Nicht nur das Wissen, sondern auch die zugänglichen Informationen vervielfachen sich. Wir haben in den letzten Jahren beobachten können, dass die Bedrohung unserer Demokratie nicht nur von außen, sondern auch von innen zugenommen hat. Viele Menschen sind mit der Informationsflut überfordert und tun sich schwer, klare Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden. Einige fühlen sich zu den einfachen und nationalen Antworten hingezogen. Diese Antworten fühlen sich einfacher an als die komplizierten und globalen Antworten. Aber in einer Welt, die offensichtlich kompliziert und globalisierter ist, sind die Antworten nicht simpel.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Deutschland und Schleswig-Holstein in den vergangenen Monaten genau die richtigen Antworten auf die schwierigen Fragen der Pandemie gegeben haben. Natürlich nicht in jedem Einzelfall, aber im Sinne des Gesamten. Sachlich, nüchtern und pragmatisch mit Hilfe von Wissenschaftlern und Experten haben wir schnell reagiert. Die Regierung hat den ultimativen Schritt einer kompletten Stilllegung des öffentlichen Lebens beschlossen. Eine Maßnahme, die gar nicht gegensätzlicher zu unseren Werten und zu unseren Vorstellungen vom Leben in dieser Gesellschaft hätte sein können. Und dann wurde in den vergangenen Monaten jeder Lockerungsschritt ausgehandelt. Und das nicht in einem stillen Kämmerlein, sondern in einer breiten öffentlichen und gesellschaftlichen Diskussion. Teilweise bis zu kleinsten Sachfragen, die nur kleine Gruppen unter uns betreffen. Und meine Wahrnehmung ist, dass, auch wenn die Entscheidungen am Ende im Sinne einer repräsentativen Demokratie durch Regierungen und Parlamente getroffen worden sind, das Ohr der Politik selten so nah am Volk war. Das gilt neben den Lockerungsschritte auch für die vielen Hilfs- und Unterstützungsprogramme, die auf den Weg gebracht worden sind. Klar, es gibt es auch kritische Stimmen, aber die überwältigende Mehrheit trägt den eingeschlagenen Kurs mit und unterstützt ihn auch.
Der Mensch steht im Mittelpunkt: Es geht nicht nur um eine Mehrheit, sondern es geht um jeden Einzelnen.
Eine Krise ist immer auch ein Test. Ich denke, wir haben bewiesen, dass wir auch „Krise können“. Denn wenn es darauf ankommt, können wir in unserer Demokratie schnell und gemeinsam entscheiden. Gerade das sollten wir uns beibehalten. Aber eine Erkenntnis ist für mich noch wichtiger; nämlich die, dass Demokratie und Freiheit die richtigen Antworten auf die Krise sind. Denn der Mensch steht im Mittelpunkt. Das heißt konkret, es geht nicht nur um eine Mehrheit, sondern es geht um jeden Einzelnen. Die Gesellschaft zeigt Solidarität mit denjenigen, die schwächer sind, die sich zurückhalten und die sich einschränken müssen, um andere nicht zu gefährden – das Ich war gestern, das Wir ist heute. Gemeinschaft und Zusammenhalt haben in der Krise eine neue, viel zentralere Bedeutung bekommen. Ich wünsche mir, dass das nicht nur eine Erfahrung aus der Krise, sondern unser neuer Anspruch an uns selbst, an unsere Mitmenschlichkeit, wird.
Denn Utopie ist etwas, das in der Vorstellung von Menschen existiert, aber (noch) nicht Wirklichkeit ist.
Aber mehr Gemeinschaft und Zusammenhalt können unsere Wirklichkeit werden, wenn wir es so wollen. Denn es liegt an uns, uns jeden Tag aufs Neue richtig zu entscheiden, d.h. uns füreinander zu entscheiden. Dinge besser zusammen zu tun, als alleine. Mit dem Gedanken, dass das in der Zukunft der Maßstab unserer Politik, aber auch unseres gesellschaftlichen Tuns ist, sehe ich in der Krise eine Chance – eine kleine Utopie für unser Gesellschaft. Natürlich ist diese Utopie noch ein zartes Pflänzchen. Aber in der Krise ist diese Utopie ein Stück weit Realität geworden.