In der Zwischenzeit

Dr. Christian Demandt

Dr. Christian Demandt, geb. 1975, lebt mit seiner Frau und den gemeinsamen drei Söhnen in Nordfriesland. Seit 2011 leitet er das Theodor-Storm-Zentrum in Husum. Zugleich unterrichtet er die Fächer Deutsch und Religion an der Husumer Hermann-Tast-Schule und ist Mitglied im Fachteam Religion des IQSH (Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein).

Corona: Mondhof

berühr mich nicht ich bin noch in der Zwischenzeit
bin heil doch noch nicht sicher bin nicht dagewesen
bin der Gärtner einzeln nachts die Ausgangssperre
brechend hör das ist meine Stimme und das der kalte
Hof des Monds den du betrachten kannst mit mir:
darin können wir einander fassen und hoffen dass
dieser Mond mit jenen die wir kannten und solchen
die jeden Monat kommen werden uns eine Brücke
aus der Welt davor bis in die künftige hinüberbaut

Jesus Corona

Das Universum hat so viele Zentren, so viele Lebewesen darin wohnen. Jeder von uns: ein Mittelpunkt des Alls. Und die Schöpfung bricht in tausend Stücke, wenn du getroffen wirst von dem, was alle treffen kann. So fing es an: Eine Fortsetzungsgeschichte in den Nachrichten, China, Kreuzfahrtschiffe. Plötzlich erste Fälle in Deutschland. Lockdown. Sehr beunruhigend. 16 Fälle allein im Freundeskreis von Max. Zwei junge Männer auf der Intensivstation, berichtet Max. Angst um die eigenen Eltern. Zum Glück: Kinder sind weniger gefährdet.

Unsere beiden ältesten Söhne, während der Corona-Zeit zwölf und acht Jahre alt geworden, sammeln Fußballkarten. Sortieren stundenlang Hunderte von Karten auf dem Fußboden, nach welchen Kriterien, habe ich noch nicht ganz verstanden. Der Jüngere zeigt mir im Team Mexico einen Jesus Corona. Zum Glück hat er keine guten Werte, sagt er. Was auch immer er damit meint.

Innehalten

Dann das große Durchatmen. Termin um Termin fällt aus. So viel Zeit wie lange nicht mehr. Der Sonntag gehört jetzt der Familie. Ein Freund, Journalist und Schriftsteller, erzählt: Endlich konnte ich zwei Bücher fertig machen, schade, dass das nicht auch ohne Corona möglich ist. Ein anderer Freund, leidenschaftlich engagierter Pastor in Hessen, schreibt, dass er sich dabei ertappte, wie er bei der Tagesschau-Meldung „Kirchen einigen sich mit Bund auf Wiederaufnahme der Gottesdienste“ zu seiner Frau sagt: Ach nö.

Ich höre oft, Corona mache uns bewusst, was uns jetzt alles fehlt. Ich merke vor allem, was mir alles nicht fehlt. Der Soziologe Andreas Reckwitz hat einen klugen Essay geschrieben über das erschöpfte Individuum in der Spätmoderne, wo der Grundsatz zu gelten scheint, dass alles, was in diesem einen Leben erlebbar ist, auch erlebt werden muss. Der Homo sapiens sitzt in der Luxusfalle. Ich habe geteilte Gefühle beim Gedanken an den großen Sprung nach vorne, dem jetzt viele für die Digitalisierung das Wort reden.

Bis zur Erschöpfung

In der Zwischenzeit hat sich der Wind gedreht. Mehr und mehr greift eine große Gereiztheit um sich. Jeder von uns: ein Corona-Experte. Carl Gustav Jung hat einmal gesagt, es sei nicht so, dass Menschen Ideen hätten, sondern Ideen hätten Menschen.

In der Schule tragen wir jetzt auch im Unterricht Mund-Nasen-Schutz. Mein Kollege Max berichtet mir nach seiner ersten Doppelstunde mit Maske, er habe das völlig unterschätzt. Dann muss ich ran. Nachher dröhnt mir der Kopf. Ein Schüler sagt: Unterricht mit Maske ist die Hölle. Jetzt merke ich, was mir alles fehlt. So viele Informationen, die ich nicht mehr wahrnehmen kann in den Gesichtern der Schüler, die ich nicht mehr weitergeben kann an sie. Wenn wir miteinander reden, tauschen wir nicht nur Wörter aus, sondern es reden Gesichter miteinander.

Corona: Ruhezeichen

wo alle Stimmen zum Ende kommen und die Stille
nistet unterm Halbkreis der Abwesenheit reichen
die Stimmen einander die Töne bis zur Erschöpfung
hinein ins Innerste der Musik: die Wildnis der Pause
in der das Verschwiegene alles was einmal zu hören
war birgt und keiner weiß welche Töne ausbrechen
wenn nach dem Innehalten wieder die Bewegung
zurückkehrt und alles was da ist alles was außerdem
möglich gewesen wäre tötet und aufzehrt: halt aus

Die Gedichte „Ruhezeichen“ und „Mondhof“ sind das zweite und dritte Gedicht des Corona-Zyklus von Daniela Danz aus dem Band „Wildniß“, der vor Kurzem im Wallstein-Verlag erschienenen ist.